Kleiner als gedacht: Bundesstatistiker lassen die Schweizer Banken schrumpfen.
Wirtschaft
17.11.2025 | nzz.ch
Kleiner als gedacht: Bundesstatistiker lassen die Schweizer Banken schrumpfen
Gemäss der jüngsten Revision der Statistik sind die Banken volkswirtschaftlich weniger wichtig als angenommen. Das sorgt für Nervosität in der Branche. Denn der Niedergang hält schon länger an.
Eine Familie treibt im Ruderboot auf einem mächtigen Fluss daher. Von digitaler Hand gezeichnet, erblicken Mutter, Vater und Tochter am Ufer die Verwirklichung ihrer Wohnträume – und alle strahlen vor Glück. So beginnt die derzeitige Kampagne der Bankiervereinigung. Der Fluss – das sind die Banken, die die Schweiz in Bewegung halten.
Doch jenseits der Werbung ist der Fluss am Versiegen. Das zeigen die Daten des Bundesamtes für Statistik (BfS): Nach der jüngsten Revision der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung tragen die Banken noch 3,7 Prozent zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei. Zuvor waren es 5 Prozent.
Den Geldhäusern geht es wie den Protagonisten im Walt-Disney-Film «Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft». Dort dampft ein zerstreuter Wissenschafter seinen eigenen Nachwuchs ein. Die Banken sind Opfer eines Federstrichs der Bundesstatistiker geworden. Alle fünf Jahre ordnet das BfS seine Kategorien neu – mit der Folge, dass die Banken dieses Mal um einen Viertel geschrumpft sind.
Auftragsstudien sollen die eigene Bedeutung belegen
Das Resultat verletzte die Geldverwalter in ihrem Selbstverständnis. Keine andere Branche investiert so viel in den Nachweis ihrer eigenen Wichtigkeit wie sie. Vor einem Jahr publizierte die Bankiervereinigung zusammen mit den Versicherungen eine Studie über ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, im Frühling folgte eine Separatstudie zur Relevanz der Banken, bereits Anfang Dezember ist die nächste Branchenstudie fällig.
Nie fehlte bis anhin der Verweis auf die 5 Prozent. «Die Banken in der Schweiz sind ein Grundpfeiler der Wirtschaft und trugen im Jahr 2024 5 Prozent zur schweizerischen Wirtschaftsleistung (BIP) bei», lautete der erste Satz in der Auftragsstudie der Beratungsfirma Oliver Wyman vom April.
Kein Wunder, sorgte die BfS-Revision für Hektik hinter den Kulissen. Die Bankiervereinigung fahndete bei den Mitgliedern nach den Verantwortlichen für die Schlappe, die Verwendung der 5 Prozent, so erzählen es Branchenvertreter, wurde in der Öffentlichkeit bis auf weiteres untersagt.
Der unvermittelte Einbruch erklärt sich dadurch, dass das BfS in der Vergangenheit auch das Fondsmanagement Banken hinzurechnete. Mit der Revision habe man «die Qualität der Berechnung der Bruttowertschöpfung von einzelnen Einheiten verbessern» können, so begründet das BfS die neue Praxis.
Nach einer Intervention der Bankiervereinigung erklärte sich das BfS bereit, das Fondsmanagement zusätzlich separat auszuweisen. Die dort enthaltenen Tätigkeiten müssten «unbedingt zur Wertschöpfung der Banken hinzugezählt» werden, sagt eine Sprecherin des Verbandes. Tut man dies, erlangen die Banken mit 4,9 Prozent wieder die frühere Grösse.
Nicht alle machen sich aber die Mühe, die beiden Kategorien zu addieren. So bezifferte die Schweizerische Nationalbank diese Woche die Wertschöpfung der Banken in einer neuen Publikation auf 3,7 Prozent – weniger als die Bauwirtschaft oder das Transportwesen.
Ausländer zahlten Schweizer Preise nicht mehr
Hinter dem Streit steckt mehr als ein Feilschen um statistische Feinheiten. Seit Beginn des Jahrhunderts erlitten die Banken einen enormen Bedeutungsverlust. Das erklärt, warum die Branche derart empfindlich auf statistische Veränderungen reagiert.
Bis zur Jahrhundertwende vereinigten die Banken 8 Prozent der Wertschöpfung in der Schweiz auf sich. Am Vorabend der Finanzkrise waren sie die zweitwichtigste Branche im Land. Inzwischen wurden sie von der Pharmaindustrie oder dem Rohstoffhandel abgehängt. Auch der Staat hat sich enorm aufgebläht. Die Banken sind auf Rang 7 zurückgefallen.
Doch das stärkere Wachstum der anderen erklärt den Abstieg der Banken nicht. Die Finanzkrise und das Ende des Bankgeheimnisses waren eine Zäsur. Innerhalb des Finanzsektors gab es dramatische Verschiebungen.
Die grössten Verlierer sind die Grossbanken. Bis 2007 waren sie die unangefochtenen Platzhirsche, keine andere Bankengruppe kam auch nur annähernd an sie heran. Seither hat sich ihre Wertschöpfung beinahe gedrittelt. Die UBS als letzte Überlebende der Gattung ist nicht mehr die Nummer eins im Land. Die Kantonalbanken sind punkto Wertschöpfung bedeutender als die Grossbank.
Unter die Räder kamen auch die Auslandbanken. Einst die zweitwichtigste Bankengruppe im Land, finden sie sich nun am anderen Ende der Skala. Manche Privatbanquiers mussten sogar das Geschäft aufgeben.
«Der grosse Einbruch kam nach der Finanzkrise», sagt Martin Hess, Chefökonom der Bankiervereinigung. Die Grossbanken fuhren das Investment Banking zurück, mit dem Wegfall des Bankgeheimnisses endeten die fetten Jahre in der Vermögensverwaltung.
Ohne steuerliche Vorteile waren die ausländischen Kunden nicht mehr bereit, die hohen Preise der Schweizer Institute zu bezahlen. «Ein wegfallendes steuerliches Bankgeheimnis kann ausländischen Kunden nicht in Rechnung gestellt werden», sagt Hess. Margen und Erträge schwanden dahin. Um den Kostendruck zu lindern, lagerten die Banken Teile des Geschäfts aus – auch das schmälerte ihre Bedeutung.
Stillstand ist bereits ein Erfolg
Immerhin konnten die Banken ihre Stellung seit 2017 stabil halten. In der Vermögensverwaltung sind sie weltweit noch immer spitze. «Das Horrorszenario, dass das grenzüberschreitende Geschäft nach dem Wegfall des Bankkundengeheimnisses komplett wegbricht, ist nicht eingetreten», sagt Kai Trümpler, Bankenspezialist bei der Strategieberatung Oliver Wyman. Dank Kompetenz, Qualität und Anpassungsfähigkeit hätten die Schweizer ihre Position verteidigen können.
Die Wahrung des Status quo wird heute bereits als Erfolg gewertet. Die Kreditinstitute verstehen sich mehr als Dienstleister denn als eigenständige Wirtschaftsmacht. «Für die Banken ist nicht die eigene Wertschöpfung entscheidend, sondern die optimale Bedienung ihrer Kundschaft», so bringt es Hess auf den Punkt.
Noch leidet die Branche unter Phantomschmerzen wegen ihrer verlorenen Dominanz. Doch die Erkenntnis setzt sich durch, dass Grösse nicht alles ist.
Guido Schätti, «NZZ am Sonntag»
Exklusiver Inhalt aus den Medien der NZZ. Entdecken Sie die Abonnemente für die «Neue Zürcher Zeitung» und die «NZZ am Sonntag» hier.